Empathie und Beziehung als Grundlage einer guten Schule

Gisela Mayer verlor ihre Tochter 2009 beim Amoklauf eines 17-jährigen in Winnenden. Die Ethikdozentin begründete das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden und schrieb das Buch „Die Kälte darf nicht siegen. Was Menschlichkeit gegen Gewalt bewirken kann“. Nach Lesung und Gespräch mit Zehntklässlern haben wir Frau Mayer folgende Fragen gestellt:

Frau Mayer, Sie schreiben in Ihrem Buch: „Ein Amoklauf ist keine Naturkatastrophe, sondern eine Menschenkatastrophe.“ Was wollen Sie damit sagen?

„Wenn so eine schreckliche Katastrophe von einem Menschen verursacht wird, so können wir das nicht hinnehmen, wie wir dies bei einer Naturkatastrophe – wie etwa einem Erdbeben oder Tsunami müssen – sondern sind durch diese Tat aufgefordert, nach den Ursachen zu suchen und alles Menschenmögliche zu tun, ähnliches für die Zukunft zu verhindern.“

Was bedeutet für Sie Sensibilität in Sachen Gewalt?

„Das bedeutet, dass wir aufmerksam sein sollten, wenn Beleidigungen, Demütigungen oder Ausgrenzung andere verletzen und ein aggressiver Umgangston zum Alltag gehört. Wenn wir uns daran gewöhnen rücksichtlos miteinander umzugehen, wird Gewalt unmerklich zu einer akzeptierten Handlungsalternative zur Lösung von Problemen. Haben wir uns erst einmal daran gewöhnt, dass es selbstverständlich ist eigene Interessen notfalls mit Gewalt durchzusetzen, ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Eskalation, wenn die Probleme größer werden sollten.“

In Ihrem Vortrag legen Sie viel Wert auf den Begriff „Empathie“.

„Empathie, die Fähigkeit mit anderen zu fühlen, ist eine Fähigkeit, die uns angeboren ist. Allerdings nur als Fähigkeit, sie bedarf zu ihrer Entwicklung der Übung. Das ist wie das Sprechen lernen, wir brauchen einen anderen Menschen. Sollten wir diese Bezugsperson nicht von frühester Jugend an haben, so wird sich Empathie kaum entwickeln und wir werden die Gefühle anderer Menschen nicht verstehen, nicht bemerken, wenn wir Grenzen überschreiten und kein Mitleid fühlen können, wenn wir sie verletzen. Empathie ist die Voraussetzung dafür, eigene wie die Gefühle anderer Menschen zu verstehen – sie ist auch die Schranke, die uns von der Unmenschlichkeit trennt.“

Was müsste Ihrer Ansicht nach eine gute Schule leisten?

„Gute Schule ist ein Ort, an dem junge Menschen in unsere Gesellschaft hineinwachsen lernen, ihre Fähigkeiten entwickeln können und im Umgang mit anderen Menschen ihr Wissen und Können erweitern. Gute Schule basiert immer auf der Gestaltung von Beziehung. Erziehung und Bildung kann nur im Rahmen von Beziehung gelingen. Deshalb ist die Persönlichkeit der Lehrerin und des Lehrers der wichtigste Faktor für guten Unterricht.“

Welchen Einfluss haben die Medien und die Familie?

„Der Umgang mit Medien gehört heute selbstverständlich zu unserem Alltag. Vor allem zum Alltag unserer Jugend. Allerdings ist dieser Umgang nicht ohne Risiken. Aus diesem Grund ist es von nicht zu überschätzender Bedeutung, dass sich Schule und Elternhaus um Kompetenz und auch Begrenzung im Umgang mit den modernen Medien bemühen. Es kann nicht sein, dass Kinder und Jugendliche  wohlbehütet in der realen Welt und völlig sich selbst überlassen in der digitalen Welt aufwachsen.“

„Menschsein ist nicht nur ein Zustand, sondern vor allem eine stetige Aufgabe.“

Diese Aussage soll uns daran erinnern, dass es zu einem guten und verantwortungsbewussten Leben stets unserer Bemühung bedarf, dass Achtsamkeit für die eigene Person wie für andere eine Aufgabe ist, die wir jeden Tag neu in Angriff nehmen müssen, dass Mensch-Sein nicht dem Da-Sein des Seins gleicht, sondern ein täglich neu zu beschreitender Weg ist.

 

Suche