Trotz Behinderung ein fröhlicher Mensch geblieben

Im Rahmen der Aktion „Behinderte helfen Nichtbehinderten“ kam Kerstin Abele zu unseren Fünftklässlern. Schulleiter Stefan Willbold begrüßte sie und die gespannt lauschenden Schülerinnen und Schüler, die von ihren Deutschlehrerinnen, Ingrid Füchtner und Claudia Rieg gut vorbereitet wurden. Trotz ihrer Behinderung ist sie ein fröhlicher und aktiver Mensch geblieben. „Ja, ihr habt richtig gehört: Behinderte helfen Nichtbehinderten und nachher wird euch klar sein, was dieser Satz bedeutet, wozu er uns auffordert“ so Franz Merkle, der Abele eingeladen hatte. 

Und nach einer kurzen Vorstellung, die die Hüttlingerin gab, prasselten regelrecht Fragen auf die Leistungssportlerin im Rollstuhl ein. Kurzer Rückblick: Es war 1988. Kerstin Abele hatte eingekauft, 2 vollbepackte Taschen hingen am Fahrradlenker. Wahrscheinlich hatte sich eine der Taschen in den Fahrradspeichen verfangen. Abele stürzte zur Straßenseite hin, wo gerade ein Auto mit offenem Anhänger vorbeifuhr. In diesen Anhänger fiel sie hinein. Diagnose: Querschnittlähmung ab dem achten Brustwirbel. „Da hatte ich noch Glück. Wäre das Rückenmark an höherer Stelle geschädigt worden, dann hätte ich meine arme nicht mehr bewegen können.“ Am Schlimmsten hat es die begeisterte Motorradfahrerin getroffen, nicht mehr mit dem Motorrad durch die Landschaft und über Alpenpässe brausen zu können. Abele begann mit eisernem Willen, sich mit der neuen Situation zurechtzufinden. Sie fuhr Rennrollstuhl, dann Hand Bike. Erreichte erste oder vorderste Plätze bei nationalen und internationalen Wettbewerben. An dieser Stelle bekam sie Szenenapplaus von den Fünftklässlern. Kurz vor ihrem Besuch in Waldstetten war sie z.B. bei Hand Bike-Meisterschaften in Linz a.D./Österreich. Übrigens genießt sie diese Wettbewerbe auch. Bieten sie ihr doch die Chance, fremde Länder zu sehen und mit Gleichgesinnten zusammenzukommen, die sich durch ihre Behinderung nicht unterkriegen lassen. So war sie u.a. in den USA, Hawaii, Italien, Frankreich, dem Libanon, den Vereinigten Arabischen Emiraten, um nur einige aufzuzählen. Und der Schweiz, übrigens dem Land, in dem sie vor ihrem Unfall jobbte und in das sie auswandern wollte. Die Vorbereitungen waren schon in vollem Gange – da passierte der Unfall.

Ganz praktische Alltagsfragen stellten die Schüler Kerstin Abele: So sei es sehr schwer, eine behindertengerechte Wohnung zu finden, in deren unmittelbarer Umgebung die wichtigsten Einrichtungen zu finden seien, so dass keine langen Wege nötig wären. Dann die Küche: „Alles, was ich brauche, muss in Griffhöhe vom Rollstuhl aus erreichbar sein. Mit der Greifzange kann ich Dinge holen, die weiter oben sind. Bei noch höher platzierten Sachen brauche ich Hilfe.“ Verletzungen können sehr gefährlich werden: zum einen spüre sie nichts mehr ab dem 8. Brustwirbel, zum anderen heilen Wunden wegen der schlechten Durchblutung sehr lange nicht. Auch die Knochen seien instabil. Da sie sich immer mit einer Hand stützen muss, um z.B. in den Rollstuhl oder aus dem Rollstuhl, ins Bett auf die Toilette oder ins Auto zu kommen, sei das Krafttraining für die Armmuskulatur sehr wichtig. „Da meine Rumpfmuskulatur nicht mehr bewegt werden kann, ist dieses Training sehr wichtig. Zudem sind meine Beine sehr dünn geworden, weil die Muskeln fehlen.“ Die Metallplatte im Rücken hilft ihr, aufrecht zu sitzen. In der Reha musste sie alles neu lernen. Abele: „Da verzweifelt man am Leben. Gut, dass ich diese Phase, auch durch meine sportlichen Aktivitäten, überwunden habe.“

Dann ging‘s ans praktische Vorführen und Üben: den Rollstuhl über Kanten bewegen, einen umgekippten Rollstuhlfahrer wieder in den Rolli bringen, Verhalten im Supermarkt mit den hohen, nicht erreichbaren Regalen, durch schmale Türen kommen. Wie kommt man in Frei- und Hallenbad ins Wasser und wieder heraus. Die Schülerinnen und Schüler waren mit Feuereifer dabei. „die Zeit ging viel zu schnell vorbei“ wurde bedauert. Zum Schluss versammelte man sich um das auf ihre Behinderung umgerüstete Fahrzeug und schaute zu, wie Abele ins Fahrzeug kam, den Rollstuhl zusammenklappte, rüber…., angurtete und startete. Ein letztes Winken von beiden Seiten – sie ist ein fröhlicher Mensch geblieben.

Und jetzt war auch klar, was der Slogan „Behinderte helfen Nichtbehinderten“ bedeutet: Behinderung bedeutet nicht zwangsläufig, sich in allen behindert zu fühlen. Und umgekehrt: Wir „Nichtbehinderten“ benehmen und manchmal im Leben „behindert“. Auch das Verhältnis von Behinderten und Nichtbehinderten muss sehr oft als „behindert“ angesehen werden. Deshalb Richtungsänderung: von Behinderten lernen. Kennenlernen von selbstbewussten, aktiven Persönlichkeiten, die trotz ihrer Behinderung Bedeutendes leisten, wie eben Kerstin Abele. Oder wie es ein Mädchen in der Nachbesprechung ausdrückte: „Sie sind ein toller Mensch, offen und selbstbewusst. Schreiben Sie doch mal ein Buch über ihr Leben, damit Sie anderen behinderten Menschen Mut machen können.“

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